Das vor etwa sechshundert Jahren gegründete Stift Schlierbach, keines der ganz großen und berühmten unter den oberösterreichischen Stiften, in seiner Bedeutung aber kaum geringer, bildet zum erstenmal den Schauplatz für eine großzügig angelegte Ausstellung. Sie steht unter dem Motto "Zeitgenössische Kunst in barocken Räumen" und gilt dem Lebenswerk von Margret Bilger, die in den Glaswerkstätten der Schlierbacher von 1950 bis 1971 kontinuierlich gearbeitet und den Ort als für ihr Leben sehr wesentlich empfunden hat. Es handelt sich bei dieser Ausstellung um eine gelungene Initiative des Landes Oberösterreich.
Margret Bilger, 1904 in Graz geboren und 1971 in Schärding am Inn gestorben, wird – um es vereinfacht auszudrücken – als Künstlerin sowohl unter- als auch überschätzt. In Oberösterreirch, wo sie sich in den dreißiger Jahren in Taufkirchen an der Pram niedergelassen hatte ("Ich trennte mich von allem ab und ging in großer Armut in die Einsamkeit, in das kleine Haus an der Pram..."), wird sie überaus verehrt. Anderswo kennt man kaum ihren Namen, und als vor drei Jahren ein Werkkatalog ihrer Holzrisse erschien, war es deutschen Rezensenten nicht möglich, ihre Sonder- und Eigenart zu erkennen und richtig einzuschätzen. Man stufte sie als Epigonin ein.
Melchior Frommel, der sich mit Margret Bilgers graphischem Werk eben anläßlich der Erstellung des Werkkatalogs intensiv auseinandergesetzt hatte und mit der Künstlerin vor allem in Schlierbach in engem persönlichen Kontakt stand, hebt hingegen zu Recht ihr schwer einzuordnendes "Außenseitertum" hervor. Innerhalb ihres Gesamtwerks, so betont er, nehme die Graphik eine Schlüsselstellung ein. Das beweist erneut auch die Schlierbacher Ausstellung vor allem im Hinblick auf die Glasfenster, deren Technik des herausgekratzten Schwarzlots eine graphisch wirksame Struktur ermöglichte.
Wenn etwas die Sonderleistung dieser Frau bestimmt, "deren Namen schon zu Lebzeiten etwas Legendäres anhaftete" und auf die Otto Benesch im Jahr 1949 durch eine Ausstellung in der Albertina aufmerksam gemacht hatte, dann sind es eben diese Holzrisse und weniger die von ihrer Qualität her sehr unterschiedlichen Glasmalereien, von anderen "Nebenprodukten" ihrer künstlerischen Arbeiten nicht zu sprechen. Es ist im übrigen schwierig, der Leistung dieser Künstlerin mit ihren "von Elementen der Großstadt. und Mode" – wie sie selbst sagte – unberührten und sehr persönlichkeitsgebundenen Arbeiten gerecht zu werden.
Margret Bilger (von Kubin, mit dem sie befreundet war und der mit ihr gemeinsam den Begriff "Holzriß" für ihre druckgraphischen Arbeiten entwickelte, als "elbisches Wesen" bezeichnet) war im besonderen Maß von Empfindungen geprägt, die nachzuvollziehen heute schwierig geworden ist. Sie fand ihr "inneres Erlebnis" in der Bibel, in Märchen und im Volkslied" in Worte gefaßt" und sprach von "eingegebenen Dingen", die sie zu gestalten suchte. Verständnis für ihr Denken ist daher erforderlich, wenn man ihre Arbeit beurteilen will – so schrieb sie es auch an Kubin, der seinerseits ihre "hohe Einseitigkeit" hervorstrich, "in Wahrheit ihr Reichtum". Dieser Künstlerin flossen Bilder als Träume zu, die sie zu verwirklichen suchte und zu realisieren verstand. "Kunst kommt immer aus Not", sagte sie, und ihre persönlichen Lebensumstände und Erfahrungen bildeten für das, was sie schuf, stets die wesentliche, unersetzliche Grundlage. In Schlierbach, wo sie zuletzt die großen Aufträge für Kirchen in Wien-Erdberg, in den Vereinigten Staaten, in Heiligenkreuz und in der Bundesrepublik ausführte, fand sie einen "Ort innerer Sammlung", dort konnte sie wie zuvor schon in ihrem Häuschen an der Pram (das sie gemeinsam mit dem Maler Hans Breustedt bewohnte) den Mythen nachgehen, diesem "ungeheuren Reichtum Mensch", wie sie ihn in einem Brief aus dem Jahr 1969 beschrieb. Hier wie dort hat sie sich in eine Sonderwelt eingesponnen, der auch ihre künstlerisch weniger überzeugenden Ölbilder oder Hinterglasbilder, vor allem aber die zarten Zeichnungen Ausdruck geben, während die eigentümlichen Webereien, die Otto Benesch mit koptischer Kunst verglichen hatte, für die Künstlerin "die liebste und stillste Arbeit", eine große Verwandtschaft zu den Holzrissen aufweisen – auch was die Dichte und Konzentration des Ausdrucks betrifft, den sie auch in den Glasmalereien nicht erreichte. Ihr graphisches Werk aber, das die in den Stiftsräumen vorzüglich untergebrachte Ausstellung ausbreitet, bildet den Kern, die Essenz ihrer Künstlerexistenz, die sie als solche auch von ihrem ganzen Verhalten her auszuspielen verstand. Die ersten Holz- und Linolschnitte stammen aus den Jahren 1922 bis 1935 und lassen thematisch bereits anklingen, was das Werk Margret Bilgers auch später bestimmen sollte. 1931 bis 1943 entstanden dann die ersten Holzrisse mit Landschaften vom Inn und vom Böhmerwald, bis dann ab 1939 verschiedene Zyklen entwickelt wurden. Sie bildeten die Grundlage für die reifen, zwischen 1945 und 1954 entstandenen späten Holzrisse, der größten und entschiedensten Leistung der Künstlerin, die sich nun vor allem der Glasmalerei zuwandte.
Wenn Margret Bilger von sich sagte, daß sie eigentlich keine künstlerischen Vorbilder gehabt habe (mit Ausnahme der Modersohn-Becker vielleicht, "die die Erde feiert"), so kann man auch feststellen, daß ihre Sonderleistung von niemandem aufgenommen und weiterentwickelt werden konnte, weil sie eine zu individuelle, von subjektiven Voraussetzungen geprägte, von einem ganz besonderen Leben bestimmte war. Diesem ganz besonderen Leben mit all seinen Eigenheiten im Spiegel dessen zu begegnen, was es an sichtbaren Zeugnissen hinterließ, lohnt die Reise nach Schlierbach in mehrfacher Hinsicht (bis 31. August).