MARGRET BILGERS graphisches Werk hat nach dem Kriege rasch europäische Geltung erlangt. Und schon beginnt es, wie Ausstellungen in New York, Rio de Janeiro und Tokio zeigen, auch auf die außereuropäischen Länder auszustrahlen. Diese ungewöhnliche Breiten- und Tiefenwirkung hat ihren Grund gewiß nicht nur in der meisterlichen Handhabung des Holzrisses, den Magret Bilger als künstlerische Technik neu entdeckt und zu einer ganz persönlichen Ausdruckssprache von ungeahnter Aussagekraft entwickelt hat. Diese Wirkung liegt nicht minder in dem Inhaltlichen ihres Werkes, an den Quellen, aus denen es fließt. In einer Weise, die selbst in unserer, aller sensorischen Kunst so abgeneigten Gegenwart nahezu einmalig bleibt, quillt Margret Bilgers Schaffen ganz aus dem Inneren der Seele selbst. Es urständet in einer Tiefenregion, in der die scharf geschiedenen Inhalte des rationalen Bewußtseins – Wort, Ton, Bild, Gefühl, Vorstellung, Gedanke – noch nahe beieinander wohnen und ineinander überfließen; in einer Seelenregion, in der Erlebnisse von Wort und Ton sich zur bildhaften Imagination von Gestalt und Gebärde zu wandeln vermögen, in der der böse Gedanke zur harten dämonischen Maske, das Befreiende und Erlösende zur Lichterscheinung oder angelischen Gestalt wird. Es ist die Schicht des Archetypischen und Imaginativen, aus der einst die großen Mythologien aller Völker und Zeiten hervorgingen, die Region, in der das Märchen wurzelt und an die noch das echte Volkslied rührt, dessen beziehungsreiche Schönheit und metaphysische Tiefe eben auf der Fülle von Anklängen beruht, die wir in Wort und Ton mitschwingen fühlen. In dieser Seelenregion liegt die eigentliche Quelle von Margret Bilgers Kunst. Von hier aus ergibt sich ihr Thematisches: das gleichsam selbstverständliche, ganz primäre Verhältnis zum Mythischen und Märchenhaften, das sie mit seherischer Kraft darstellt; die künstlerisch so fruchtbare Beziehung zum Volkslied, das sich unter ihrer Hand wie von selbst in eine quellende Fülle von Bildern umsetzt. Aus dieser Region empfängt die Künstlerin auch die Fähigkeit, die Themen des religiösen Bereiches aus formelhafter künstlerischer Erstarrung zu befreien und so vor uns hinzustellen, daß sie mit der ganzen Kraft und Ursprünglichkeit eines ersten neuen Erlebnisses wirken. Der einfühlende Betrachter wird versuchen, das geheimnisvolle Walten des schöpferischen Gestaltungsvorganges von den Arbeiten selbst abzulesen; er wird beobachten, wie die Holzrisse von einem ersten Zentrum der Bildimagination nach außen wachsen, ohne den Bildrand oft völlig zu erreichen; er wird feststellen, daß die Gestalten der Künstlerin oft von einhüllenden und bergenden Liniengebilden umgeben sind – so als trügen sie noch eine Art von Matrix, eine Hülle jener seelischen Region an sich, aus der sie eigentlich stammen. Aufschlußreich sind die vielen Bildtitel, die auf ein anfängliches Wort- oder Tonerlebnis hinweisen, das dann in die bildhafte Vorstellung überging; aufschlußreich auch die oft hauchzarten Bildniszeichnungen, die den Eindruck erwecken, als hätte sich das seelische Wesen des Dargestellten ganz unmittelbar auf dem weißen Blatt abgedrückt. Niemals forciert die Künstlerin. Sie bricht dort ab, wo die Bildvision dunkler wird, sich verflüchtigt und verfließt. In dieser ganz strengen, empfangenen Hingabe an die innere Begnadung liegt das im metaphysischen Sinne Weibliche von Margret Bilgers Kunst. Die gegenwärtige Ausstellung bringt vorzugsweise Arbeiten aus der jüngsten Schaffensperiode der Künstlerin, die der Öffentlichkeit noch nicht gezeigt wurden. Dies gilt sowohl von den Holzrissen aus dem Bereiche des bäuerlichen Lebens wie von den Bildniszeichnungen, den landschaftlichen Aquarellen und den Arbeiten in Öl. Das Glasgemälde, das neben dem Holzriß seit Jahren einen Hauptsektor im Schaffen von Margret Bilger ausmacht, ist durch Entwürfe für den Dom in Eisenstadt vertreten, an dessen Glasfenstern die Künstlerin gegenwärtig arbeitet.