Leoprechting heißt der Weiler, in dem, an der Straße, die nach Taufkirchen führt, Margret Bilger in diesem schönen, hölzernen Bauernhaus wohnt; in dem einen Stockwerk, erfüllt von altem, noch bedeutsamem Hausrat der Vorfahren, Hinterglasbildern, lebensrot und in himmlischem Blau, ungefügen, wunderlichen bäuerlichen Plastiken, findet sich die kleine Stube, die die werkgerechten Geräte zur künstlerischen Arbeit birgt und die herrlichen Holzstöcke, auf denen mit bewährten und höchst persönlichen Techniken das Bild entsteht (Wolfgang Gurlitt hatte die ausgezeichnete Idee, die Holzstöcke gleich gotischen Tafelbildern auszustellen). Am Haus vorbei gleitet in hundertfältigen Mäandern der Wiesenfluß Pram; braunes, goldgründiges Gewässer, vornehm und von taubenhafter Sanftheit unter Erlenbüschen; seine Ufer erreichen die Höhe der saftigen Wiesen und spielen mit den flutenden Gräsern. Welch gewaltiges Land: braun in der Grundsubstanz. Moosige Schattengründe, trächtig schwerer Boden von urtümlicher Wölbung, von harten Kieseln durchsetzt; mächtig ausladende Höfe mit braunen Läden, dumpfroten Dächern. Hintergründige Landschaft innerer Dunkelheit und Gefährdung, voll Spuk und unausgetilgter heidnischer Seele, mütterlich, gut und fruchtbar, von jener unzerstörbaren geduldigen Kraft, die alle Kreatur seit den Tagen der Schöpfung gebiert, nährt und kleidet. Landschaft des Glaubens mit hundert und aber hundert Malen der Frömmigkeit bezeichnet, die, eingewachsen in die Natur und verwurzelt wie Frucht, Baum und Ähre, die grobe Wandlung der Herzen bewirken und anzeigen, die durch das Holz des Kreuzes in die Welt getreten ist. Die Landschaft Kubins und Billingers (der, städtisch interpretierend, im dämonisch Grotesken verhaftet, die gläubige Seele nicht auffand) ist christlich getauft und blüht mystische Gesichte. Margret Bilgers Kunst wächst aus dem Rätsel des menschlichen Lebens; aus dunklen Hintergründen, die, der rationellen Durchhellung trotzend, größer sind als wir. Kein konstruktiv-ästhetischer Planwille, nichts von kühler technischer Organisation, von leicht durchschaubaren Abstraktionen, nichts von der Oberflächenphysik impressionistischer Farbengewimmel. Hier sind meditative Vorgänge am Werk, die nur zögernd an die Oberfläche treten, hier ist viel des Unausgesagten geblieben, des nur scheu Geahnten, ehrfürchtig Verehrten, vielleicht des geheim Gefürchteten. Langes und gehorsames Horchen ist diesen künstlerischen Äußerungen einer menschlichen Seele vorausgegangen. Traumland der Kindheit ist hier; mit allen süßen und schreckhaften Geheimnissen, die es birgt ("Des Knaben Wunderhorn" war oft und immer wieder der Vorwurf dieser graphischen Blätter). Gutes und Böses ist im Märchen, lebt und wuchert oft ununterschieden. Hier läutert sich langsam die träumende Seele des Mythos. Das Boshafte, Zerstörende darf nicht überhandnehmen und überwältigt das Licht nicht. Wunder sind hier noch möglich, weil alles wunderbar ist, das dauernde Wunder des Lebens, der Herkunft und des Hingangs und der geheimen Angerührtheit von den höchsten, den göttlichen Kräften. Mythos klärt sich langsam, zögernd, zur Helligkeit des Geistes, zur Wachheit der Person und reinen Gewißheit des Glaubens in den dunklen Brokaten dieser ernsthaften, behutsamen Blätter. Voll der Frömmigkeit, der heiligen menschlichen Scheu vor den Ursprüngen, ohne die keine Kreatur wahr und gut ist, taucht diese Kunst aus den oft verwirrenden Finsternissen, den rätselvollen Geheimnissen der Seele auf ins Tagesbewußtsein des Geistes. Parabolische Kraft und Geste haftet den Gestalten an, die sich nie ins Aufzählende, Erzählende verlieren. Nirgends Theaterhaftes, filmisches Abrollen äußerer Vorkommnisse; sparsam bemessene Figuren folgen dem Gesetz innerer freier Wesensnotwendigkeit. Nirgends aber auch leerer allegorisierender Pseudosymbolismus, der letztlich mit Lineal und Zirkel zum mühelos funktionierenden Schema wird. Nirgends Konversation, Geplauder; bei geschlossenem Auge von Seele zu Seele aus innerster Verwandtschaft geht das Gespräch: cor ad cor loquitur. Mönchische Einsamkeit bildet den Quellgrund dieser schwermutgetragenen Gesichte. Wie sollte dort nicht Schwermut hausen, wo Natur noch brütet und west, Logos und Pneuma noch nicht völlig von der noch selbstversponnenen, sehnsüchtig träumenden Seele Platz ergriffen haben. Geschieht es aber, das Fest der Fleischwerdung des Oberen, dann bleibt es nicht isoliertes Faktum; der ganze Kosmos schwingt mit und gerät in Bewegung, alle Schöpfung spricht mit in dunklen Tönen, das Stöhnen der gefangenen Kreatur wird hörbar, die der Offenbarung der Herrlichkeit der Kinder Gottes harrt. Immer ist der Uralte, der Anfang da: nicht der unschuldig paradiesische, sondern der melancholische der ausgewiesenen Kreatur: exules filii Hevae, "Evas vertriebene Kinder". Adams Schädel dorrt zu Füßen des Kreuzes, rettendes Blut träuft auf den Alten, Ersten, und das vermorschte Gebein beginnt zu frohlocken unter dem roten Tau solcher Gnade. Feierliche dunkle Hymnen intoniert der mystische Chor, noch in Verbannung an den Flüssen Babylons, an langsam rollenden Flüssen der Sehnsucht, und das Instrument des Jubels hängt noch an klagender Weide. Aber das Große, immer Kommende, immer Präsente hebt schon den beschwörenden, heilenden Finger in hieratischer Geste. Wie in Finsternisse gehüllt erblickt das Auge noch nicht den rettenden Stern; schon schmiegt sich aber die mystische Braut, noch Sünderin, an, mit Tränen der Reue die sanft glimmenden Füße des Gebenedeiten waschend, und gelöstes Haar fällt liebend über sein herrscherliches Knie: unsägliche Geneigtheit eines gedemütigten Leibes, der erniedrigten Seele, innigste Schmiegung eines Gehorsams, der Liebe ist. Er aber dauert segnend – ein festlicher Kult des Erbarmens, der aus der Niederung des Fleisches aufwärts weist ("Magdalena"). Jonas dringt mächtig aus dem Leib des Fisches zu reiner Geburt, aus tierhaftem Kerker bricht der Prophet und das Wort. Kindhaftes, Mythisches, Lyrisches (Interpretationen zu Konrad Weiß und Theodor Sapper), zuletzt und zumeist aber Biblisches sind die Gegenstände dieses unerschöpflich quellenden Schaffens. lkonostasen voller Parabeln und bedeutsame Figuren beider Testamente erheben sich in feierlichen Prozessionen aus der betrachtenden Seele, Dunkelstes wird transparent (et nox illuminatio mea in deliciis meis - und die Nacht Erleuchtung meiner Entzückungen, sagt der mystische Hymnus der österlichen Nacht, Exultet), die Nacht des Daseins erlebt sich im priesterlichen Glanze tausend strahlender Gestirne. Das Heilige triumphiert im Geheimnis. Finsternis zeigt den Ort seines unzugänglichen Lichtes an. Feuer-Wolkensäule senkt sich nieder und zieht vor uns Pilgern auf weglosen Wegen und zeltet endlich auf Adams Erde. Konstruktivistischer Rationalismus wird im Schema vereisen, surrealistisches Pandämonium seinen Exorzisten finden: superexpressionistisches Geschrei wird in erstarrten Gesten steckenbleiben, naturalistischer Kopismus als Götzenopfer der stummen Materie entlarvt werden – solche Kunst aber wird bleiben, weil sie das Zentrum des Menschen als Sitz und Urquell erwählt hat, die geistige Seele, die nicht stirbt.