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Margret Bilger. Lebensbericht
verfasst 1968; Abdruck des 1. Teils im Katalog der Oberösterreichischen Landesausstellung Schlierbach 1975; des ´Nachtrags´ im Katalog ´Märchen und Legenden´ der Margret-Bilger-Galerie im Zisterzienserstift Schlierbach 1990

Mein Großvater mütterlicherseits August Matthèy Guignet war Franzose und wanderte als Bäckerlehrling in die Steiermark ein. Er gründete in Graz die erste steirische Kunstdruckfabrik. Die Großmutter bäuerlichen Adels aus Niederösterreich soll hierzu noch im Wochenbett Etiketten geschnitten haben. Ihr Wort: "Jede Bequemlichkeit ist mir eine Unbequemlichkeit" ist auch mir Wahrheitswort. Der parkartige Garten zwischen Wohnhaus und Fabrik, den der Leonhardbach durchfloß, mit Teich, Grotte, Glashäusern, Affenkäfigen und Papageien bildete das reiche Spielfeld der Kindheit. Von den Tieren waren es die Pferde besonders, die mich fast ehrfürchtig entzückten, aber war überhaupt von all ihrem Wesen stark bewegt und angezogen, wie vom lebendigen Geheimnis. Sogar das Zuhacken des starken Schnabels vom Papagei, bis aufs Blut, nachdem er zutraulich dienerhaft zart sein Brazerl um den Finger schlang, schien mir nicht unmotiviert.
Durch die Geburt meiner Schwester kam dann erst ein selig Gefühl von Bergen und Geborgensein in mich. Ich sang es in Liedern vor mich hin, wie vor dem Wunder der Weihnacht. Ich erinnere mich, daß ich ein Wachsjesulein aus der Krippe aus- und einlegte, immer singend dazu: Ich leg's aus meinem Herz heraus/ ins Kripplein hinein,/ und ich leg's aus dem Kripplein heraus/ und in mein Herz hinein.
In dem Großelternhaus (in Graz) waren meine Eltern eine eigne Insel. Mein Vater, Universitätslehrer für neuere Geschichte, voll sensibler Herzenshöflichkeit, bildete zu meiner Mutter voll Intuition und französischem Temperament ebenso starken Gegensatz wie innige Gemeinschaft, im hochindividuellen, künstlerisch aufgebauten Heim. Sein Muttererbe ist das Innviertel, wo ich heut noch lebe (sein Vater kam aus dem Hessischen und Rheinland), aus dem früh mein Bruder in lebenslänglicher Odyssee, ich 17jährig aus- besser aufbrechen sollten! Ich ging zu knochentuberkulosen Kindern auf die Stolzalpe, die damals noch fast ohne Schulen, wo die Kinder, jahrelang ohne geistigen Stoff, mit ihren Wunden in der Sonne lagen, von klein auf bis zu 18 Jahren. Das erzeugte in mir einen intensiven Lebensstrom, der uns alle zu einer Gemeinschaft zusammenriß, wo Freude alles überwog! Ich merkte aber als Hilfsschwester bald, daß mein Weg mehr über das Seelische als Praktische gehen sollte.
Es fügte sich, daß man mich nach Wien mitnahm, wo ich die Aufnahmsprüfung an die Akademie (bei Jettmar) machen sollte und durchfiel. Der meinen Eltern befreundete Wiener Bildhauer Zelezny aber nahm mich bei der Hand, führte mich gleich in die Fachklasse zu Professor B.Löffler und sagte: "I wüll, daß das nimmst!" – jene Kunstgewerbeschule, die ich dann mit dem ersten österreichischen Staatspreis abschloß.
Mehr aber als alles andre erfüllten mich auch dort noch die Kinder, die ich in Waisenhäusern und Settlement aufsuchte, mit ihnen zeichnete und schließlich, in einem Heim für Schwererziehbare am Fuß des Weinberges in Nußdorf all die Jahre wohnend, meine Freizeit mit ihnen verbrachte. So blieb ich vom Element der Großstadt und Mode unberührt.
Spontan griff ich zum Holz! Die Lust zu seiner harten Faser, die Freude zum Material war gegeben! Freilich entstanden erst Gebilde (siehe "Einsam"), die alle voller Trauer waren, ich nannte sie Heilige. (Sei es die Unerlöstheit in mir, seien es die kranken Kinder, auch die Luft der Zeit, die immer überall eindringt.) Dann fing ich an, die Umgebung Wiens in meinen einfachen Herzspiegel zu nehmen, in Holz übertragen. (Calvariberg, Hofmusikanten, Fischer, Karusselle, Prater usw.) Freunde kamen hinzu, die mich ermutigten. Prof. Cizek sandte seine Schüler aus der Vorbereitungsklasse zu mir in die Fachklasse als einer, "die sich treu bleibt". Der heute in Atlanta lebende Universitätsprofessor Gregor Sebba sagte mir jedoch große Änderung voraus, bei dem ich, wie auch bei Otto Kallir in U.S.A ausstellen, nach 30 Jahren ausstellen sollte, tatsächlich ganz verändert. Das Bewußtsein mußte erst durch schwerste Erlebnisse geboren werden. Nach dem Krankheitstod der Mutter heiratete ich, wie als Herausforderung an das Geschick, einen Flickschuster. Es blieb dies alles sehr unwirklich. Die Folge war eine Totgeburt, eine schwere Eklampsie mit Gedächtnisverlust. Das Schwerste aber war die existenzielle Frage vor der Auflösung: "Wer bin ich eigentlich?'' Die Frage nach dem Wesen! Ich trennte mich von allem ab und ging in größter Armut in die Einsamkeit, in das kleine Haus an der Pram, wo ich heut noch lebe. Nach dem Krankheitstod der Mutter heiratete ich, wie als Herausforderung an das Geschick, einen Flickschuster. Es blieb dies alles sehr unwirklich. Die Folge war eine Totgeburt, eine schwere Eklampsie mit Gedächtnisverlust. Das Schwerste aber war die existenzielle Frage vor der Auflösung: "Wer bin ich eigentlich?'' Die Frage nach dem Wesen! Ich trennte mich von allem ab und ging in größter Armut in die Einsamkeit, in das kleine Haus an der Pram, wo ich heut noch lebe. Nach diesem Vollzug kam erst das erste leidenschaftliche Liebeserlebnis. Im Alleinsein lösten sich nun ungeahnte Elemente aus mir aus in Bild und Gedicht: Fliehen durch die Nächte, Sonne Mond und Sterne, auf den bloßen Wangen Tau. Birg o Mantel des Getiers, vor der Welt die Frau, Sonne, Mond und Stern laden sie zum Tanz, die in Asche schläft, bloß und nackend ganz, im Mantel Allerleirauh. – In dieser Zeit lernte ich dann auch Kubin kennen. Er bestärkte mich: "Können Sie nicht Ihr elbisches Wesen auf ein künstlerisches Geleise bringen?" Er deutete auf den Zeichentisch: "Hier müssen wir leben! Hätte ich all meine Fantasie ausgelebt, wär ich heute im Irrenhaus!"
Nachtrag
Schon als Kind, wie es meinem Geschick (12. Haus) entspricht: immer etwas ausgesperrt zu sein, "so vor der Tür", entwickelte sich eine gewisse Seligkeit, die um die Weihnachtszeit ihren stärksten Ausdruck hatte. – Es war keine Neugier vor den verschlossenen Türen (was dem Bruder alles zur Untersuchung galt). Im Dunkel traf es mich wie Verheißung. Das adventliche Harren "im Dunkel getrost“ blieb das Eigentliche meines Lebens, aus dem die Lieder entstanden, damals wie heut! Neugier war nie. Ein Bangen wohl, aber es wurde dies so erfüllt, daß in der Spannung desselben, der süße Kern, fast spürbar, Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft sich in Einem berührten. Erlebt etwa wie Kinder das Märchen, eingeweiht, erschauernd in das Ahnen der Ganzheit des Daseins. Es ist doch so: Einmal etwas vollzogen, geht es doch wieder zurück wohl ins Gewöhnliche, aber nie mehr ganz! Es kommt dann von außen und innen: das was befreit wurde und trägt, oder errettet gar, in einem wie in andern, wie die Tiere im Märchen, auch wilde oft, sich verwandeln in Hilfe.