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Alfred Kubin in seinen Briefen an Margret Bilger
Niemand ist damals sorgsamer auf die jeweils neuesten Arbeiten eingegangen als Kubin. Niemand hatte neben dem Sachverstand die Fähigkeit, das Erkannte so zu neuer Arbeit beflügelnd zu formulieren. Die zitierten Stellen finden sich in der Ausgabe des Briefwechsels, erschienen im Verlag der Kulturzeitschrift LANDSTRICH, Schärding 1997.

7.11.1938
... und dann bringen Sie wieder Arbeiten auch von sich, es können ja dieselben sein, welche Sie bei sich hatten (daß Sie Ihr Inneres sich kompromißlos zu geben bemühen, habe ich erkannt)

9.12.1938
Ich würde mich freuen, wenn Sie in Ihrer eigentlichen mit geheimnisvollem Gefühl getränkten Kunst schaffen könnten, wenigstens zeitweise –

22.4.1939
Ja, welch ein frischer Zug beseelte Sie bei dem Wasserweib... Der Schnitt, in der großen Konzeption der Form, wie technisch durch Wechsel des Werkzeuges interessant und bedeutend gestaltet, gehört zu dem Schönsten, das ich von Ihnen bislang kenne –

23.5. 1939
– der neue Druck des Wasserweibes zeigt mir wiederum die fabelhafte Einfühlung, über welche Sie verfügen – und dann die elementare Zeichnung – da dürfen Sie sich nicht wundern, wenn öfter die Liebe Enttäuschung bringt. Sie sind es ja, die den magischen Schleier auf die andern so wirft –... So hoffen wir halt nach allen Seiten! Auch aus dem, was Sie erlebten, könnt ich nur sagen „machen Sie etwas daraus!“ nämlich: Bilder! Sie haben die Fähigkeit zu formen und um des Ausdrückens willen erlebt man doch – wofür sonst??

6.6.1939
– freilich: das elbische Wesen, die Melusine auch in Ihnen ist meines Dafürhaltens im Schaffen wenn nicht schon zu erlösen, so doch auf ein biegsam wertvolles Geleise zu bringen – daß es eben in Ihnen strömt aus Gesichten ist der Beweis – halten Sie dies Gut – übertreiben Sie die Kraftausgabe nicht, legen Sie Schonfristen durch Baden und Herumliegen etc. ein, dann steht eine glückliche Reife – keine jener bedauerlichen Notreifen oder Verzerrungen – Ihnen bevor

13.7.1939
Liebe Bilgerin – Wie schön, was Sie sandten und auch schreiben – das Löwentier, das sich auf die Frau wirft, und dies Liebespaar sich umarmend sind allgewichtige Stücke in der Reihe Ihrer monumentalen Schnitte – Mit einer Sie vielleicht ein wenig erfreuenden Zeichnung will ich hier spontan erwidern – Ich freue mich aber auch von Ihnen zu erfahren, wie produktiv Sie waren und was Sie zu Ende brachten (die zwei Wandteppiche! Und – interessant – der Weg zur Farbe neuerdings), doch dies Gedicht (Windpassing) zeigt auf die schmerzlichste Wunde der Zeit. Verschwiegne, durch unser Gefühl geheiligte vertraute Orte – werden – – – Autostraßen – das sagt schon alles, es ist nicht mehr gut auf der alten Erden! – man ist wie getrieben, auf einer ständigen Flucht – anders vermag ich es nicht zu sehen für den Künstler –

21.11.1939
haben Sie Dank für die Schnitte besonders. Ich nehme diese nur unter der Bedingung des Tausches und lege etliche frühe Lithos von mir dann der Rücksendung bei – Über die 3 Aquarelle bin ich überrascht! Ein auf Nuancen gebautes großes Zusammenhalten – farbig höchst saftig! .. Das Bucklige Männlein – liegt mir weniger nahe, hingegen wie aufschlußreich diese Skizzen – die mir sehr wichtig waren, um eine vertiefte Einsicht zu finden, wie Sie d.h. Ihre Seele arbeiten – Ich bin ja im Grunde ein Schwarz-Weiß-Maler – mir ist Farbe Schmuck nicht Baustein – Ihre Holzschnitte zeigen eine Synthese, die unbewußt aus Ihrem Wesen aufsteigt, aber ich begreife wohl, daß man nicht immer solche Dinge machen kann und will, ging es mir manchmal in alten Jahren ähnlich – Ich finde z.B. in den Arbeiten der Kollwitz ein 100000fach gewaltigeres Können, aber den unwillkürlichen unvorhergesehenen Haschischtraum, gerade das was ich suche, was aus dem Unbewußten auftauchend wie ein Gespenst plötzlich dasteht,  hat die Kollwitz nicht – Sie bleibt bei aller Meisterschaft mit einem Stück ihres Wesens im Tendenziösen stecken – im Stofflichen.

16.1.1940
Liebe Bilgerin – Ich lege anderes fort, um Ihnen empfänglich-warm von den heute erhaltenen beiden Holzschnitten und den interessanten Bleiskizzen hier gleich zu danken! – Sie entlocken durch Ihr Kratzen und Schaben der Holzplatte ganz eigenartige malerische Materialreize, und gerade weil diese eben nicht so „schnittgerecht“ sind, kommt ein unvergleichlich persönlicher Reiz eben zustande.

13.9.1941
Hier fand ich diese drei, selbst auch bei Ihrem Niveau überraschenden drei neuen Schnitte – das sind schon kaiserliche Blätter fürwahr, selbständig aus Ihrer eigensten Technik hervorgewachsen und den besten grafischen Werken ganz nahe stehend – – der Ausdruck der Köpfe von z.T. unvergleichlicher Süsse und eine traumhafte Haltung aller 3 Stücke. – So liebe ich Ihr Schaffen!

26.10.1942
Liebste Bilgerin – Sie belieben Erstaunen hervorzurufen und immer wieder aufs herrlichste zu überraschen. Die Holzschnitte – aber sind so ungewöhnliche Produkte noch "Holzschnitte"? – – fesseln und sind erfinderisch aufs unergründlich Mystische aufgebaut – (eine neue Provinz auch technisch also erobert! –) Kennen Sie Sachen der Hanna Nagel? über welche ich von ihrem Lehrer Meid erfuhr, daß sie meine Sachen hochschätzt – sehr sympathisch, aber im Irdischen verharrend, was die Seelenregion anbelangt. Sie wagen aber den Sprung ins Unendliche –  Mein neues Schuldgefühl werde ich durch Stiftung einer Arbeit ausgleichen noch! ... Ihren neuen Stil, so z.B. auch beim eisernen Heinrich bewundere ich! – Das gewählte Querformat macht sich – bei den komplizierten Räumen, die Sie lebendig machen, besonders günstig! – ... Ihnen, liebste Bilgerin, bleibt auf alle Fälle Ihre [Gabe], ein geheimnisvolles Frauentum so reich und gültig in Ihrer Kunst spiegeln zu können! Ich bin immer aufs neue beglückt von Ihren Funden und diese hohe Einseitigkeit – in Wahrheit Ihr Reichtum! –

25.10.1942
Ich sehe mir immer wieder Ihre prachtvollen Holzschnitte an, und da Sie hier Ausdruck mit der eigens hiezu selbstgefundenen Technik organisch – ja elementar verwenden und wunderbare malerische weiche Wirkungen erzielen – sollten Sie für dies Verfahren auch den Namen erfinden –

12.11.1942
„Holzrisse“  ist wie eine glückliche Eingebung. Sie geben mit „Risse“ einen Wink, auf die im Grunde weiche malerische zeichnerische Technik und mit Holz als für das Material! – und Sie selber sind die Dryade, welche sich aus den schweren Wurzeln losgesondert hat – in treuer Kraft zu sich selbst! – Ich sehe, wie vortastend in die Tiefe Ihre letzte Schwarz-Weißperiode immer noch nicht abreißt – es kann gar nicht versickern bei Ihnen, nur wie gewisse Ströme zeitweilig unterirdische Bahn laufen –

19.1.1943
Ihre innig betonten Zeilen, – der Schnitt Nr. 2, die neue Skizze – alles, besonders die Rauhheit zeigt mir immer wieder, wie sehr wir in geistiger Verbindung stehen – – Dank!! ... – die neue Fassung von Blatt 7 wird all das bringen, was der verworfenen fehlt und damit Ihre Folge faktisch eine neue Bestätigung sein für den modernen synthetischen „Holzriß“, wie Sie ihn glücklich nennen. ... Diese Blätter geben bei längerer Betrachtung immer mehr aus dem schwarz-weißen Geheimnis her und die beabsichtigte Widmung trifft – den hassenswerten Kern der heutigen Wirrnisse, den Neid – und weist auf deren Überwindung hin!

29.1.1943
Sie liebe gute Bilgerin – So haben Sie also Ihren Zyklus vom Hähnchen und Hühnchen geschafft – auch dieses wiederholte letzte Blatt 6 gelang (ein prachtvolles Gegenüber zum Riß 7!) in seiner funkelnden Schwärze – Solche Werke finden schon die „richtigen“ Augen! – Danke auch für einen Abzug des „ Böhmerwaldes“, welchen ich bei meinem nächsten Schärding-Kommissionsbesuch mir von meiner Schwägerin holen werde so um den 10. Februar herum!

14.4.1943
Liebste Bilgerin – nun einige Worte, daß ich Ihrer gedenke, daß mir der Kain und Abel in der korrigierten Fassung völlig gelungen scheint – (die beachtlichen beiden anderen Blätter funkeln in zartem Schwarz-Weiß.) Ihre Reduktionen z.Bsp. bei den Augen in dem dunklen Haupt könnten nicht besser wirken – ich danke aber auch für Ihre Anhänglichkeitsbeweise – für Ihre Frieden ausstrahlenden Zeilen und – für Alles –

17.8.1943
Tusset Für Ihre Sendung danke ich herzlich, freilich zum genauen Betrachten komme ich erst im Frühherbst in Zwickledt. Soviel sehe ich: die Blätter sind auf der Höhe der früheren Folgen – bei dem Blatt mit dem Wagen scheint mir aber zugleich zutage zu treten: die Grenzen der Holzrißtechnik! Vielleicht fühlen Sie dies selbst.

21.1.1944
Meine liebe Bilgerin – Erstmal Ihre Holzrisse und Dank für diese sehr mich erfreuende Sendung, welche – wie dies öfter vorkommt – sich mit der meinigen merkwürdig gekreuzt hat – Wie immer bei ihrer reinen voraussetzungslosen Kunst begeistert mich die Folge – Sie ist „ganz Bilgerin“ d.h. wirklich vollkommen gelöst aus Ihrer Seele – Ich stelle (für mich!) das hinzugekommene unnummerierte VII. Blatt an den Anfang als Titel als I.a, das muntere Zicklein da wiederholt sich dann bei 6. noch freudiger – die Linie welche diese 7 Blätter ausführen, ist so melodisch klangvoll, die Spannung reich differenziert jedesmal – ein luftiges Sternengebilde gleichsam (voll interessanter Ornamentik im Einzelnen!)  Ihres Wesens Ausgeburt, unverkennbar echt so aus Ihnen hervorgegangen wie ein Kind (im gesamten gleichmäßig durchgearbeitet, als das letzte die Stille.) Ich stelle mir vor, Sie nehmen diese Folge so als Patengabe mit nach München – auch meiner Frau gefiel sie – mehr sage ich an Hand der [?] auf voller Höhe – – biblisch klärend und ohne Dämonie (im Gegensatz zu manch andrer Schöpfung), eher dem „Heiligen“ sich nahend – – als grafische Aussage – wie immer bei Ihnen – alles Stoffliche überwunden – das Schaffen dran muss Sie selber innig befriedigt haben.

24.4.1944
Aber ganz und gar nicht braucht Ihnen wegen der Passaublätter etwa nicht wohl zu sein –, ich freute mich und staune über die heimliche Gotik, die mit hineinfloß und danke für die wunderschönen (im Ton und Saft) Abzüge – die Schrift paßt sich an – und die Kürzungen – fügen sich dem Geballten des Werkes vollgültig an. (als Synthese vollkommen, die zeichenhaften Schriftbänder könnten nicht besser sein, also gut so) – Ob der Text das hält, was Sie wollten? Für mich schon – Es ist ein unvergeßliches Passau im Klang, welcher da aus Ihrem Wesen vernehmbar wird – tiefer herauftönend als das, was sich da sonst in der allgemeinen Art breit macht – – Ich danke nochmals, Sie Liebe ... Dies Ausgewogene des Hellen mit dem Dunklen, das Letztere dominierend, könnte auch nicht besser sein! ... – Zu solchen Rissen gehört solche Kraft; das Elbische der Unterströmung schön hindurchgeführt!

25.11.1944
Von Herzen Dank – ich hoffe zu Weihnacht eine Erinnerung von mir geben zu können – für diese ausdrucksvollen 2 Blätter, da Sie Ihre Eigenständigkeit aufs Neue bezeigen, und völlig begreife ich Ihre Auffassung – abseits des Heerestrottes!

17.7.1946
Liebe Bilgerin. Das war eine gute Überraschung mit einem guten Brief. Sie sind mit den beiden Blättern wahrlich vorwärtsgekommen, besonders Philemon und Baucis hat ein seelisch! mächtiges Ausmaß. – Auch das Tobiasblatt steht noch im besten Licht des reichen neuen Aufschwunges und ich las die Tobiaslegende in der alten Bibel und war einfach starr, wie Sie das gefunden haben!!! Wie so oft bei Ihren geheimnisvollen Auftrieben kommt eine technische Bereicherung im durchgehenden rhythmischen Aufhellen der Schwärzen in den unvergleichlich innig empfundenen beiden Akten hinzu. Ja, Sie fühlen und denken in dem Holz, das Sie schneiden –

29.7.1947
Ihre neuen 4 Blätter geben an letzter Großzügigkeit eine Beruhigung, die beglückt – der Weg vieler Ihrer Einzelblätter, impressioniert durch gewaltige Romanik, Frühgotik, frühe Miniaturen, förderte eine Ausdruckskunst, die einmalig ist – und ganz: Bilgerin! – Ich freue mich immer wieder der Überraschungen, die Sie bringen. – Die schönen Zyklen bieten sich wieder anders – jeder – seinen Schmelz tragend.